Setumaa – Land der Setus
Setumaa ist das angestammte Land der Setu, einer ethnischen Minderheit im Südosten Estlands nahe des Peipusses. Ein Teil des historischen Setulands liegt heute in der benachbarten russischen Region Petschory in der Oblast Pskow (Pleskau). Die „Große Kulturreise durch das Baltikum“ führt auch in diese interessante geteilte historische Landschaft an der estnisch-russischen Grenze.
Das Volk der Setu
Die Setu – auch Setukesen oder Seto genannt – gehören zu den finno-ugrischen Völkern. Die Setu-Sprache stammt aus der südestnischen Gruppe der finno-ugrischen Sprachen und ist dem Estnischen nicht allzu fern. Die Setu sind ein kleines Volk, das zunehmend von der Assimilierung bedroht ist. In Estland gibt es noch gut 10.000 Setu, von denen aber nur noch 4.000 in der angestammten Region leben und ständig in Kontakt mit ihrer Sprache, der Kultur und den eigenen Traditionen leben. Die überwiegende Zahl der Setu ist in die großen Städte Tartu oder Tallinn abgewandert und wird dort mehr und mehr von den Esten assimiliert. Im benachbarten Russland leben noch etwa 4.000 Setu.
In Setumaa scheint das Land der großen deutschbaltischen Gutshöfe Lichtjahre entfernt, hier dominiert eine bäuerliche Lebensform mit geschlossenen Höfen hinter hohen Bretterpforten in Haufendörfern. Sie stehen eng beieinander und gleichen wehrhaften Verteidigungsanlagen. Setumaa, ist geprägt von sandigen Böden und dichten Kiefernwäldern, dazu Flüssen wie der Piusa mit ihren Stromschnellen, die durch eine Wiesenlandschaft zum Pihkysee fließt
Ein Blick in der Geschichte der Setu
Schon um 600 v. Chr. lebten Setu im heutigen Setumaa. Im frühen Mittelalter drangen slawische Stämme immer weiter nach Nordosten und es kam zu ersten Vermischungen. Zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert wurden die Esten christianisiert, als Dänemark und der Deutsche Orden die Region beherrschten. Die Setu jedoch gehörten seit 862 zum russischen Reich. So blieben sie länger Heiden als die Esten. Sie wurden erst im 15. Jahrhundert zum orthodoxen Christentum bekehrt. Lang aber blieben in der Kultur der Setu heidnische Bräuche lebendig. Durch die Kontakte zu Esten fanden auch katholische Einflüsse Eingang in die Setu-Kultur. Bis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs lebten die Setu unter russische Hoheit. Im Friedensvertrag von Tartu (Dorpat) kam Setumaa 1920 zum nun unabhängigen Estland.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts blühte die Setu-Kultur auf und die Zahl der Menschen die sich als Setu bekannten, stieg auf etwa 15.000. Doch Teile der Kultur und der orthodoxe Glaube der Setu erschienen zunächst etwas fremd im gerade souverän gewordenen Estland. Seit Mitte der 1930er Jahren setzte unter einer autoritärer werdenden Regierung eine Estnisierungspolitik ein, die einen starken Assimilierungsdruck auf die Setu ausübte. Als die Sowjetunion 1940 Estland besetzte, gerieten sowohl Esten als auch Setu als Minderheiten innerhalb der UdSSR unter Druck, viele Esten und Setu wurden ins Innere der Sowjetunion deportiert. Die Setu mussten den traditionellen Silberschmuck abgeben, der Schulunterricht in der Setu-Sprache wurde abgeschafft, die Höfe der Setu flossen in Kolchosen ein. Nach der deutschen Besetzung 1941-1944 kehrte die Rote Armee 1944 nach Estland zurück und die Sowjetunion zog die Grenzen neu. Dies betraf vor allem die Grenze zwischen der Estnischen und der Russischen Sowjetrepublik. Von nun an war das Siedlungsgebiet der Setu geteilt worden. Von besonderer Bedeutung wurde das ab der wiedererlangten estnischen Souveränität 1991. Von da an lebten die Setu in zwei verschiedenen Staaten. Diese Grenze sollte im russisch-estnischen Grenzvertrag völkerrechtlich verbindlich festgelegt werden. Dieser Grenzvertrag wurde zwar 2005 von beiden Regierungen unterzeichnet, aber bis heute von russischer Seite nicht ratifiziert. In Estland sind die Minderheitenrechte der Setu garantiert. Seit dem estnischen EU-Beitritt von 2004 ist die estnisch-russische Grenze mitten durch das Setu-Land eine EU-Außengrenze. Das hat die Kontakte der Setu beiderseits der Grenze weiter erschwert, denn Estland gehört zu den Ländern des Schengen-Raums und die Setu mit russischer Staatsbürgerschaft brauchen nun ein Schengen-Visum, wenn sie nach Estland zu Setu-Treffen einreisen wollen.
Die Setu-Kultur
Die Kultur der Setu entstand an der Schnittstelle zweier Welten, die durch den Protestantismus und die Orthodoxie geprägt wurden. Oft drohten die Setu, zwischen den Rivalitäten der finno-ugrischen Esten und der slawischen Russen zerrieben zu werden. Die Setu vereinen beide Welten in ihrer Kultur und ihren Traditionen, so gehören sie zwar zum finno-ugrischen Volks- und Sprachraum, sind aber orthodox.
Wichtiger Bestandteil der Setu-Kultur sind die traditionellen Dorffeste. Meist fallen diese Dorffeste mit religiösen Festen zusammen. Alle treten in den überlieferten Trachten auf, die bei Frauen sehr farbenfroh sind. Verheiratete Frauen tragen zusätzlich einem imposanten Silberschmuck, der aus Münzen auf einem großen Brustschild besteht. Er wird von Generation zu Generation vererbt und ergänzt. Die Männer der Setu tragen über der Hose reich mit roten Ornamenten bestickte Hemden. Auffallend sind vor allem die sehr bunten und üppig gemusterten Wollsocken. Auch die traditionellen Tänze der Feste haben ihre Besonderheiten, denn Männer und Frauen bleiben bei traditionellen Tänze getrennt. Die Musik zum Tanz ertönt meist noch auf Originalinstrumenten wie Bajan oder Kannel.
Wer sich über die Setu-Kultur umfassend informieren will, kann das im Museum der setukesischen Kultur in Värska oder in der Museumsaußenstelle in der alten Schule von Saatse an der Piusa. Dort markiert die Dorfgrenze auch gleich die estnisch-russische Staatsgrenze.
Leelo – Die Gesangstradition der Setu
Weltweit einmalig ist die außergewöhnliche Setu-Gesangkunst „Leelo“ mit einer Verflechtung von poliphonen und heterophonen Techniken zwischen Ein- und Mehrstimmigkeit. Der Leelo-Gesang steht seit 2009 auf der UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit. Der eindrucksvolle Gesang begleitete die Arbeit der Bauern und ist seit Jahrhunderten einer der wichtigsten Teile der Setu-Kultur. Heute ist dieser Volksgesang bei vielen Setu-Feiertagen, Familienfesten und Festivals zu hören, wie dem seit 1977 stattfindenden Leelo-Festival.
Beim Leelo wechseln sich Chor und Solisten Strophe für Strophe ab, wobei der Chor die von der Solistin oder dem Solisten vorgesungene Strophe aufnimmt und nachsingt. Die Solisten als Vorsänger improvisieren dabei nach mehr oder minder festen Regeln. Spontanität, Improvisationskunst, Inspiration und viel Einfühlungsvermögen sind wichtig für die Textgestaltung und das Melodienrepertoire. Es werden althergebrachte Melodien gesungen, neu Kompositionen gibt es nicht.
Traditionell wird Leelo meist von Frauen gesungen. Vorsängerinnen, die aus einem besonders großes Melodienrepertoire schöpfen können, sind hochangesehen wund werden als „Liedmutter“ bezeichnet. Den Liedmüttern wurde 1986 in Obinitsa ein Denkmal gesetzt. Durch die Abwanderung vieler Setu in die großen Städte nimmt in Setumaa auch die Zahl der Leelo-Chöre ab. Derzeit existieren noch etwa zwanzig solcher Leelo-Chöre mit jeweils zehn Sängerinnen oder Sängern.