Kunst und Kultur
Die baltischen Länder besitzen ein reiches kulturhistorisches Erbe aus einer langen Vergangenheit. Älteste kulturelle Spuren finden sich bereits aus frühesten Zeiten: Mythen, Opfersteine, Tierfiguren, Schmuckstücke aus der Zeit vor der Christianisierung.
Mit der Christianisierung glich sich die Kultur der westeuropäischen an. Erste Einflüsse kamen aus dem skandinavischen Raum, wichtiger wurde jedoch der Einfluss der Deutschen, aber ohne die Spuren der überlieferten Mythen auszulöschen. Basierend auf traditionellen Überlieferungen verfasste Andrejs Pumpurs (1841-1902) Mitte des 19. Jahrhunderts Lettlands Nationalepos „Der Bärentöter“. Der Held des Werkes kämpft darin gegen einen deutschen Ritter, ertrinkt aber kurz danach im Fluss Daugava. Doch die zu erwartende Wiedergeburt des Bärentöters erhält die Hoffnung auf neue Freiheit. Auch das estnische Volksepos „Kalevipoeg“, das Mitte des 19. Jahrhunderts von Friedrich Reinhold Kreuzwald (1803-1882) in schriftlicher Form erfasst wurde, ist voll von alten Überlieferungen, die als Legenden jahrhundertelang mündlich weitergegeben worden waren.
Ein wichtiger Bestandteil der Volkskultur wurde der Gesang; oft verbunden mit regional unterschiedlichem bäuerlichen Brauchtum. 1869 gab es in Tartu das erste große estnische Sänger- und Tanzfest, das heutzutage aller fünf Jahre in Tallinn stattfindet. Vergleichbar in anderen Kunstrichtungen sind heute das Baltische Ballettfestival mit internationalen Tänzern und Choreographen sowie das Theaterfestival Baltischer Frühling in Riga.
Im Unterschied zum Land wurden die Städte, vor allem die Hansestädte, stark von der deutschen und besonders in Litauen auch der polnischen Kultur geprägt. In der Architektur verdeutlichen alte Burgruinen, mittelalterliche Sakralbauten, Rat- und Bürgerhäuser, Jugendstilfassaden den Jahrhunderte währenden westeuropäischen Einfluss. Im offenen Land steht den oft schlossähnlichen Herrenhäusern jedoch eine einzigartige Holzarchitektur der einheimischen Bevölkerung entgegen, heute vielfach in Freilichtmuseen zusammengefasst.
In der Zeit des nationalen Erwachens gingen erste Künstler, Maler, Schriftsteller auch aus der einheimischen Bevölkerung hervor, studierten in St. Petersburg oder Westeuropa. Die Estin Lydia Koidula (1843-1886) verfasste unzählige Naturgedichte und patriotische Lieder. Dem in München ausgebildeten Bildhauer August Weizenberg (1837-1921) war der berühmte dänische Bildhauer Thorvaldsen ein Vorbild. Bis heute gilt in Lettland Janis Rainis (1865-1929) als wichtigster Schriftsteller seines Landes. Zahlreiche Gedichte, das Drama „Feuer und Nacht“ sowie seine Übersetzung von Goethes Faust verschafften ihm hohe Anerkennung. Rainis war auch als Politiker aktiv. Wegen seines Engagements während der Revolution 1905 musste er nach deren Scheitern seine Heimat verlassen und konnte erst mit Lettlands Unabhängigkeit 1920 zurückkehren.
Der Zweite Weltkrieg und die sowjetische Okkupation unterbrachen die Entwicklung der an Westeuropa orientierten Kunst und Kultur. Viele der Kunstschaffenden emigrierten. In den Folgejahren entspann sich ein „Krieg der Worte”. Die in den Heimatländern Verbliebenen machten sich über den oft sentimentalen Nationalismus in den Werken von Exil-Schriftstellern lustig, während die im Exil Lebenden der Auffassung waren, die in der Heimat Verbliebenen hätten sich dem Sowjetregime gebeugt. Diese kritische Auseinandersetzung setzt sich auch heute noch fort.
Haben Sie vielleicht Lust, sich auf eine Baltikumreise nicht nur mittels eines Reisehandbuches vorzubereiten? Dann lesen Sie den Roman "Fegefeuer" der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen, in dem sich jüngste Geschichte und Gegenwart im Schicksal zweier Frauen verwoben findet, oder blättern Sie vielleicht im Flugzeug schon einmal in Claudia Sinnigs "Litauen: Ein literarischer Reisebegleiter".